Oktober 2011 - Ausgabe 131
Legenden der 60er
Brutus und der Blumentopf von Alf Trenk |
Foto: Alf Trenk
Brutus, alias Otto B., gehörte in den Sechzigern – wie der Sprachkünstler Oskar Huth wohl gesagt haben würde – zum «dotierten» Besucherstamm der Kreuzberger Künstlerlokale. Er studierte Architektur, liebte klassische Musik, hatte Freude daran, an Sonntagvormittagen Hauskonzerte zu veranstalten. Wer dabei sein Bad benutzte, wurde magisch angezogen vom Anblick der Wanne: Von laufendem Wasser gekühlt, stapelten sich darin die Erzeugnisse renommierter Weingüter und Brennereien. Niemand wagte indes, sie vorzeitig anzurühren. Brutus‘ strikte Regel lautete: Erst die Kunst, dann der Schnaps. Die damit verbundene Fehleinschätzung menschlichen Verhaltens, speziell im Fall der so lange trockengelegten Kreuzberger Schluckspechte, hatte Folgen. Kaum war an einem dieser Sonntage der letzte Geigenton verklungen, trieb es die durstige Meute ins Badezimmer. In null-komma-nichts brachte sie es auf einen Promillewert, der bei üblichem Trinktempo frühestens am Spätnachmittag erreicht worden wäre. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Wanne nurmehr Kühlwasser, aber nichts mehr zu kühlen enthielt, begab sich der Schriftsteller Robert Wolfgang Schnell auf die Suche nach weiteren Quellen. Es verschlug ihn auf den Balkon, wo sich aber lediglich ein leerer Blumentopf vorfand. Schnell ergriff ihn, bedachte ihn mit einem Blick, als trage dieser die Alleinschuld an der augenblicklichen Notlage und warf ihn kurzerhand über die Brüstung. Unglücklicherweise zerbarst das Gefäß direkt vor den Füßen zweier Polizeibeamter – behäbiger, freundlicher Leute, die der fliegende Topf etwas irritierte. Als sie oben klingelten, fügte es sich, dass ausgerechnet der Attentäter ihnen die Tür öffnete. Beim Anblick der Polizeiuniformen überschüttete er die Verblüfften mit einer Schimpfkanonade, in der Ausdrücke wie »Ihr Schnüffler! Ihr Scheißbullen! Ihr Kapitalistenknechte!!« noch die mildesten Verbalinjurien darstellten. Die Situation drohte zu eskalieren. In diesem Moment trat die Filmemacherin Eva Häusler vor den Tobenden. Sie lächelte die Gesetzeshüter zuckersüß an und erklärte mit Engelsstimme, dass die Herren preisgekrönte Architekten seien, die gerade ihre Auszeichnung feierten. Bedauerlicherweise – aber wem sei es nicht auch einmal so ergangen? – hätten sie dabei ein bisschen über die Stränge geschlagen… Die Polizisten schauten sie nachdenklich an, zuckten einmal kurz mit den Schultern, und wünschten » … dann noch viel Spaß«. • |